Es ist kaum bekannt, dass am Ende des Zweiten Weltkrieges in Dänemark an der Westküste Jütlands ein Lager für tausende deutsche Flüchtlinge und Vertriebene errichtet wurde, die meistens aus West- und Ostpreußen, Masuren und Pommern stammten. Die Geschichte des Lagers ist spannend, aber auch ausgesprochen bewegend.
Die Dänen haben 2022 im Bereich des ehemaligen deutschen Lagers ein beeindruckendes Fluchtmuseum eröffnet, um diesen Teil ihrer eigenen - aber auch unserer Geschichte - selbstkritisch aufzuarbeiten.
Im Mai des vergangenen Jahres hatte Editha Westmann mit ihrer Familie einen Urlaub in Dänemark verbracht, bei dem sie zufällig den Hinweis auf das Fluchtmuseum in Oksbøl entdeckte, welches zu der Zeit kurz vor der Eröffnung stand. Sie informierte sich vor Ort über die Hintergründe zu diesem deutsch-dänischen Projekt und besuchte den Friedhof des ehemaligen Lagers, der durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge betreut wird. Rasch war ihr klar, dass sie für ihren BdV-Landesverband eine Fahrt nach Dänemark organisieren würde und so fand genau ein Jahr später, vom 15. bis 17. Mai 2023, die verständigungspolitische Informationsfahrt des BdV-LV-Niedersachsen nach Dänemark statt.
Bereits während der Anreise mit dem Bus konnten die Teilnehmer interessante Kurzvorträge genießen. Editha Westmann führte die Reisegruppe in die geplanten Abläufe des Besuches in Dänemark ein und berichtete über die Arbeit des BdV-LV-Niedersachsen.
Dr. Lothar Jakobi, Mitglied des erweiterten Bundesvorstandes des Landsmannschaft Weichsel-Warthe (LWW), gab den Mitreisenden einen informativen Einblick über die Entstehung und die Entwicklung der LWW, deren Mitglieder aus den vier Siedlungsgebieten Posener Land, Mittelpolen, Galizien und Wolhynien stammten. Dr. Christopher Spatz, ehemaliger Büroleiter der Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, erzählte unter anderem von seinem aktuellen Zeitzeugen-Projekt, bei dem es um die „Aktion Schwalbe“ geht.
Am späten Nachmittag traf die Gruppe im Hotel in Esbjerg ein, wo am Abend der Empfang für die einheimischen Gäste stattfand. Aus dem Fluchtmuseum war John V. Jensen gekommen, der nach dem gemeinsamen Essen über die Entstehung des Fluchtmuseums berichtete und viele Hintergrundinformationen über das damalige Leben im Lager geben konnte.
Herr Jensen hat ein interessantes Buch über die Deutschen auf der Flucht geschrieben. Dieses Buch zeigt eindrucksvoll die problematische Situation der Deutschen Flüchtlinge aber auch die der Dänen am Ende des Zweiten Weltkrieges auf.
Anschließend informierte der Vorsitzende der Deutschen Minderheit in Nordschleswig über die historischen Zusammenhänge und Grenzverschiebungen in Nordschleswig, die dazu führten, dass es heute eine dänische Minderheit in Deutschland und eine deutsche Minderheit in Dänemark gibt.
Am Dienstag stand bereits am Morgen der Besuch des Fluchtmuseums an. Die Gruppe nahm sich viel Zeit, um die Ausstellungen und das Außengelände rund um das Museum zu erkunden. Editha Westmann beschreibt den Besuch des Museums wie eine Reise in die Vergangenheit, bei der man auf moderne Museumspädagogik trifft, die es dem Besucher ermöglicht, in die persönlichen Lebensumstände der Zeitzeugen einzutauchen, sie kennenzulernen, mit ihnen zu bangen und zu hoffen und manchmal auch mit ihnen zu leiden. Die Ausstellungen wecken Emotionen und geben den Besuchern einen Zugang zu den Fluchtgeschichten von damals und heute, zeigen Parallelen auf ohne die unterschiedlichen Situationen zu vergleichen. „Es ist dem Team um John V. Jensen gelungen, die unterschiedlichen Geschichten von Flucht und Vertreibung damals und heute durch persönliche Zeitzeugenberichte spannend und lebendig zu machen. Außerdem werden die schwierigen Lebensumstände der Deutschen im Lager Oksbøl ausgesprochen realistisch wiedergegeben“, so Editha Westmann. Besonders beeindruckt zeigte sich die Reisegruppe von den logistischen Leistungen, die damals von den Dänen bewältigt wurden, um die 36.000 Bewohner des Lagers mit dem Nötigsten zu versorgen. So wurden zum Beispiel pro Tag 15.000 Brote gebacken und in das Lager geliefert. Allerdings waren die meisten Lebensmittel nur schwer zu bekommen. Das führte zu einer unzureichenden Versorgung der Menschen. Kaffee, Tee und Tabak gab es nicht im Lager. Das Lager glich einem eigenständigen Ort auf nur 4 Quadratkilometern, welcher mit einem hohen Zaun gesichert nicht verlassen werden durfte. Die letzten Deutschen verließen erst im Jahr 1949 das Lager Oksbøl.
Im Anschluss an den Museumsbesuch legte die Reisegruppe einen Kranz vor dem drei Meter hohen Bronzekreuz auf der Kriegsgräberstätte nieder, auf der 1675 deutsche Flüchtlinge und Vertriebene bestattet sind, darunter auffallend viele Säuglinge, Kinder und Jugendliche, die insbesondere in den ersten Monaten nach der Ankunft im Lager verstorben sind. Außerdem befinden sich dort die Gräber von 121 deutschen Soldaten.
Mit der auffallend hohen Kindersterblichkeit im Lager befasst sich ein weiteres Projekt des Museums. Im nächsten Jahr soll in der einzig noch erhaltenen Baracke, die damals als Krankenstation diente, die medizinische Situation im Lager Oksbøl aufgearbeitet werden.
Am Nachmittag ging es weiter zum Museum Tirpitz, welches direkt an der Nordseeküste liegt. Dort wurde eine alte Bunkeranlage zu einem beeindruckenden „Museum unter dem Sand“ mitten in den Dünen errichtet. Schon die außergewöhnliche Architektur des Museums, verschmolzen mit dem alten Bunker, ist einen Besuch wert.
Eine der vier beeindruckenden Ausstellungen zeigt die Situation im Zeiten Weltkrieg an der Westküste des von Deutschland besetzten Dänemark. Das Museumskonzept ist an dieser Stelle sehr detailgetreu umgesetzt worden und erlaubt dem Besucher tiefe Einblicke in eine dunkle Zeit der Geschichte. Aber auch die anderen Ausstellungen überzeugen mit ihren klaren und eindrücklichen Darstellungen und gut verständlichen Erläuterungen.
Alle Mitreisenden waren sich am Ende eines erlebnisreichen und bewegenden Tages einig, dass ein weiterer Besuch beider Museen durchaus lohnenswert sei.
Am Mittwoch besuchte die Gruppe auf dem Rückweg nach Deutschland die Bildungsstätte der Deutschen Minderheit in Nordschleswig. Der Vorsitzende Hinrich Jürgensen hatte zu einem Rundgang auf dem Knivsberg an der dänischen Ostseeküste eingeladen und präsentierte das ausgesprochen gepflegte und weitläufige Gelände mit einer Bildungsstätte, einem Gästehaus, einer Gedenkstätte, einer überwältigenden Aussichtplattform und den zahlreichen Freizeitanlagen.
Die deutsche Minderheit verfügt zusätzlich unter anderem über ein Internat und Kindergärten. Das Engagement der Minderheit im kulturellen und politischen Bereich ist beeindruckend und zeigt, dass ein gelingendes Miteinander möglich wird, wenn sich engagierte Menschen wie Hinrich Jürgensen einbringen und ihre Belange gegenüber der deutschen und dänischen Politik mit Nachdruck voranbringen.
Sicher war die verständigungspolitische Fahrt nach Dänemark ein außergewöhnliches Erlebnis mit sehr vielen neuen Eindrücken und einer Fülle an Informationen. Sie war aber auch ein wichtiger Pfeiler zur Verständigung mit Dänemark. „Diese Fahrt hat uns allen deutlich gemacht, wie kostbar ein friedliches Miteinander mit unseren europäischen Nachbarn ist. Die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte ist ein ganz starkes Symbol des Friedens und der Aussöhnung. Ich bin sehr froh, dass wir uns zu dieser Reise entschlossen haben“, betonte Editha Westmann am Ende der Dänemark-Reise.