Der BdV führte bereits 2005 die erste offizielle verständigungspolitische Fahrt nach Schlesien durch. Seit 2010 folgten regelmäßig weitere Fahrten in die Heimatgebiete der Vertrieben. Die 11. Verständigungspolitische Fahrt führt den BdV-Landesverband in diesem Jahr vom 23. bis 26. September nach Posen (Poznań) und Umgebung.
Unser Geschäftsführer, Herr Michael Gediga, hatte die Fahrt sorgfältig vorbereitet. Mit dem Bus ging es ab Hannover für die zwanzig Teilnehmer in Richtung Polen. Die beiden stellvertretenden Vorsitzendenden des Landesverbandes, Herr Heiko Schmelzle (Schatzmeister) und Herr Peter Winkler (Schriftführer), begleiteten die Gruppe und sorgten für kurzweilige Abwechslung während der langen Bustour.
Bei Frankfurt/Oder erlebten wir auf der gegenüberliegenden Fahrspur einen zirka 18 Kilometer langen Stau, der sich aufgrund der Kontrollen zur Verhinderung der illegalen Einwanderung gebildet hatte. Zum Glück hatten wir auf der Rückreise „freie Fahrt“ und konnten so unsere Fahrt unfall- und staufrei durchführen.
Bei bestem Wetter trafen wir in unserem Hotel in Posen ein. Unsere Fahrt wurde hilf- und kenntnisreich durch den Deutschlehrer Przemek Zielnica begleitet. So hatten wir unter anderem keinerlei Verständigungsprobleme. Herr Zielnica ist zudem stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Weichsel-Warthe und dadurch bestens mit der Arbeit in einem Vertriebenenverband vertraut.
Am ersten Abend stärkten wir uns im Kellerrestaurant Brovaria direkt am Ring in Posen durch ein leckeres Abendessen.
Der dann folgende Rückweg zum Hotel zeigte uns bei Dunkelheit bereits den herrlich beleuchteten riesigen Marktplatz, also den Ring, dieser interessanten Stadt Posen.
Der nächste Tag begann mit einer Stadtführung, bei der uns der große, um das Rathaus führende Ring mit seinen großen und eindrucksvollen, aber auch kleinen Häusern vorgestellt wurde. Das alles überragende und überaus repräsentative hohe und große Rathaus zeugte vom Wohlstand dieser Stadt aus damaliger Zeit.
Sehr imposant und beeindruckend ist auch die Pfarrkirche „Zum Heiligen Bischof Stanislaw“, die von 1651 – 1705 erbaut worden ist.
Nach vielen ausführlichen Erklärungen zur Stadt insgesamt, besuchten wir dann mittags das Museum der sog. Posener Bamberger „Muzeum Bambrów Poznańskich“. Ursprünglich kaum vorstellbar, was sich dahinter verbirgt, wurden wir von den Herren Maciej Stolzmann und Aleksander Kubel umfassend informiert. Vor ca. 300 Jahren verlor Posen durch Pest und Kriege viele Bürger. Die Einwohnerzahl schrumpfte von 4.000 Einwohnern auf 2.000. Die Posener Ratsherren riefen mit Unterstützung des katholischen Bischofs von Posen, der wiederum seinen katholischen Amtskollegen im bayrischen Bamberg um Mithilfe vor Ort bat, bereitwillige katholische Bürger zu bewegen, nach Posen zu kommen, um hier die brachliegenden Felder zu bewirtschaften und die Stadt Posen mit Lebensmitteln zu versorgen. Sie erhielten Wohnrecht. Zuerst als Pächter landwirtschaftlicher Flächen, später als Eigentümer. Es handelte sich um ca. 550 Ansiedler, die dem Aufruf, damals mühsam u.a. mit Karren von Bamberg nach Posen, folgten.
Ein umfangreiches Museum, bestehend aus einem Hausnachbau im Museum mit mehreren Stuben mit zeitgenössischer Einrichtung. Im Obergeschoß des Museums sind landwirtschaftliche und handwerkliche Gegenstände, Bilder, Karten und Zeitdokumente ausgestellt, die Zeugnis der damaligen Zeit geben. Auch noch heute wird die Verbindung zueinander gepflegt und gemeinsam der Übersiedlung aus Bamberg vor 300 Jahren gedacht. Die polnische Post würdigte dieses Ereignis 2019 mit der Herausgabe einer eigenen Briefmarke, auf der u.a. auch einer unser Gesprächspartner zu sehen ist.
Es war beeindruckend zu erfahren, dass immer noch, trotz mancher Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis, die Freundschaft untereinander gepflegt wird und ein imposantes Museum inmitten der Stadt Posen vorhanden ist.
Anschließend stand ein Besuch im Collegium Historicum der Adam - Mickiewicz - Universität in Posen an. Hier begrüßte uns Prof. Jerzy Kołacki mit seiner Mitarbeiterin aufs herzlichste und führte uns durch die vor neun Jahren zusammen gelegten Bibliotheken in einem Gebäude auf dem neu errichteten Universitätscampus am Rande der Stadt Posen. Zeigt diese Bibliothek, durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet, dann eine riesige Anzahl von rund 400.000 Büchern und Dokumenten. Michael Gediga hatte die Gelegenheit, das älteste dort vorhandene Buch aus dem 17. Jahrhundert durchblättern zu dürfen. Das Papier fühlte sich so ähnlich wie heute selbstgeschöpftes Papier an.
Wir sahen unvorstellbar umfangreiches Material vom kleinsten Buch der Welt, in dem das „Vater unser“ in sieben Sprachen zu lesen ist, über endlose Regale mit Büchern bis zum Faksimile von umfangreichem Musikmaterial polnischer, deutscher und anderer maßgeblicher Künstler aus aller Welt, wie auch Beethovens „Ode an die Freude“.
Zwei kleine Sonderausstellungen ergänzten diese Führung. 12 Personen arbeiten ständig hier, um Studenten und sonstigen Interessierten eine Ausleihe zu ermöglichen, die laufend durch Ankäufe und Schenkungen ergänzt wird.
Zum Schluss sahen wir von Prof. Kołacki eine eindrucksvolle power-point Präsentation über die 1000-jährige deutsch-polnische Geschichte mit seinen sehr unterschiedlichen gegenseitigen Bezügen, besonders auch, was das für das Posener Gebiet bedeutete.
Der 2. Tag endete, wie am Vorabend, in einem rustikalem Kellerrestaurant in einer Seitenstraße des Rings, dennoch ganz zentral, im Restaurant Szarlotta mit einer Spezialität aus Wielkopolska, dem Posener Land, die keinen Wunsch offenließ.
Der 3. Tag beinhaltete zuerst den Besuch der Universitätsbibliothek in der u.a. Originalhandschriften der Gebrüder Grimm zu sehen waren.
Es wurde festgestellt, dass es sich bei diesem Gebäude um die ehemalige Kaiser-Wilhelm Bibliothek handelt, die heute die größte Bibliothek im nord-westlichen Bereich Polens bildet. Sie hat reichhaltige spezielle Sammlungen, aber seit fast einem Jahr eben besonders 27 als verschollen geglaubte Bücher und Dokumente aus der Privatsammlung der Gebrüder Grimm, die jetzt erstmals einer deutschen Gruppe vorgestellt wurden. Dass dieses Material hier nach Posen gelangte, wird u.a. damit begründet, dass die frühere preußische Bibliothek in Berlin zum Aufbau dieser deutschen Bibliothek in Posen bestimmtes Material übergeben hatte und durch die Grenzziehung dieses nach 1918 in polnischen Besitz gelangte.
1812 erschien die erste Ausgabe dieser Grimmschen Unterlagen und es ist dabei besonders interessant, viele ergänzende persönliche Notizen der Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm in diesen Unterlagen zu finden.
Nach diesem sehr interessanten Besuch unserer deutschen Märchenerzähler hatten wir bei herrlichem Wetter eine mittägliche Pause eingelegt, um dann zu Fuß zum Marschallamt (=Landtagsamt) der Woiwodschaft Wielkopolska zu gelangen. Die ausgezeichnet gut deutschsprechende Arlena Weller begrüßte uns herzlich in dem 2011 begonnenen und 2014 fertiggestellten „Glaspalast“, in dem alle Abteilungen unter einem Dach zu finden sind. Bei der Begrüßung führte sie aus, dass das imposante Gebäude eine Höhe von 55 Metern mit 11 Etagen hat und Büros für über 1.000 Mitarbeiter.
Sie führte weiter aus, dass dieses Haus eine moderne, transparente Behörde darstellen soll und damals auch energetische Belange ihren Eingang gefunden haben.
In dem folgenden Gespräch wurden zuerst die Unterschiede zwischen den Aufgabenbereichen eines Marschall- und des Woiwodenamtes erklärt, im Vergleich zu den deutschen Landesparlamenten, wobei der Woiwode die Kontaktperson zur Zentralregierung in Warschau ist, während das Marschallamt eine gewisse Selbstverwaltung darstellt, obwohl sich auch beide Bereiche vielfach mit ihren Aufgaben überschneiden bzw. berühren.
Weiter wurden wir dort von den Damen Anna Markiewicz, Direktorin des Büros für internationale Zusammenarbeit und Magdalena Antoniewicz, stellvertretende Beauftragte des Landes Brandenburg für Großpolen, mit ausführlichen power-point Präsentationen über ihre vielfältigen Aufgabenbereiche informiert, aber auch über die Kontakte und Aufgaben, die zwischen Niedersachsen und der Woiwodschaft Posen bestehen. Letztlich wurde der Gruß des stellvertretenden Marschalls Wojciech Jankowiak überbracht.
Die uns dargestellten vielfältigen Kontakte und Aktivitäten würden diesen Bericht in seiner Länge sprengen, wir aber dadurch umfangreiche Informationen bekamen.
Mit entsprechenden Dankesworten und der Überreichung von Gastgeschenken verabschiedeten wir uns und fuhren dann in die kleine 600 Einwohner umfassende Gemeinde Objezierze, die 30 km nördlich von Posen, in Richtung der Stadt Obornik (Oborniki) liegt. Hier erwartete uns Herr Adam Malinski und wir konnten an einer Übungsstunde der örtlichen Volkstanzgruppe teilnehmen, die auch schon im Ausland aufgetreten war. Herr Adam Malinski von der Posener Polnisch-Deutschen Gesellschaft (Towarzystwo Polsko-Niemieckie w Poznaniu) gab uns anschließend Erklärungen zum Dorf, insbesondere aber zu dem ehemaligen Rittergut Thurnow mit seinem z.Z. leerstehenden großen Schloss, das bis 1939 im Besitz der Famile Thurnow war. Bis 2012 wurde es von der Berufsschule auch als Internat und Büros genutzt. Danach wurde das Schloss den Erben zurückgegeben.
Ja wir konnten es nach dem schmackhaften Abendessen in der Schulkantine der Berufsschule, serviert von Jugendlichen und nach vielen Gesprächen sogar besichtigen und waren überrascht von der noch vorhandenen Bausubstanz, die aber durch Nichtnutzung in Gefahr gerät, zur Ruine zu werden.
Damit endete unsere diesjährige Fahrt und wir kamen wohlbehütet nach diesen vielen Begegnungen wieder in Hannover an und waren beeindruckt von der Stadt Posen. Wir gewannen Eindrücke zur wechselvollen Geschichte der langen deutsch-polnischen Nachbarschaft von rund 1000 Jahren und waren letztlich erfreut, durch diese Fahrt entsprechendes neu erfahren oder aufgefrischt gehört zu haben.
Peter Winkler